Corona und die Frage „Was wäre die Wirtschaft ohne Veranstalter?“

 

Als Kollegin bei der Conexio GmbH habe ich mich bisher immer der Energiebranche zugehörig gefühlt, denn wir veranstalten ausschließlich Energie-Events. Doch als Veranstalterin, Moderatorin und Veranstaltungsdesignerin gehöre ich genauso zur MICE-Branche (MICE = Meetings, Incentives, Conventions, Exhibition/Events).

 

Ausnahmesituation Corona-Virus

Nun erleben wir alle gerade eine Ausnahmesituation: das Corona-Virus hat in unser aller beruflichem und privatem Umfeld direkte und indirekte Auswirkungen. Seien es Reisebeschränkungen, Homeoffice-Anweisungen oder veränderte Auftragslage, seien es Absagen von Konzerten, Schließung von Restaurants aufgrund zurückgehender Konsumausgaben der Bevölkerung und diffuser Panikgefühle.

 

Nach den Absagen großer Messen wie ITB, Hannover Messe oder IMEX werden nun auch reihenweise Kongresse, Tagungen, Workshops, Veranstaltungen, Konzerte, Sportevents usw. abgesagt. Das bringt mich zur Frage, welche Bedeutung Veranstalter für die Wirtschaft haben.

 

Die MICE-Branche

Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland betrug 2018 rund 3.344 Mrd. EUR. Der Umsatz auf dem deutschen Tagungs- und Kongressmarkt 2018 lag bei rund 86 Mrd. EUR, also etwa 2,5% des BIP. Zu den ca. 2,89 Mio Veranstaltungen kamen 2018 ca. 412 Mio Teilnehmer*innen und Teilnehmer. Der Gesamtumsatz der MICE-Branche (inkl. Dienstleister, Locations etc.) liegt entsprechend höher. Denn zur Branche zählen Veranstalter von Messen, Events, Konferenzen etc., Dienstleister wie Messebauer, Künstler*innen, Eventmanagement, Hotels, Locations, Technikanbieter, Agenturen, Vermittler*innen, Moderator*innen. Für die Branche arbeiten eine Vielzahl von Grafiker*innen, Kommunikationsprofis, Verlage, usw.

 

MICE-Unternehmen arbeiten natürlich gewinnorientiert, es sind schließlich Unternehmen mit Verantwortung für Mitarbeiter und Gesellschaft. Und nein: MICE ist in der Regel keine Gelddruckmaschine, den Einnahmen stehen hohe Ausgaben gegenüber, in erfolgreichen Events stecken tausende Stunden harter leidenschaftlicher Arbeit.

 

Was wäre die Wirtschaft ohne MICE-Veranstalter?

MICE nutzen die Unternehmen, um sich auf Großveranstaltungen mit Geschäftspartner*innen und Kund*innen zu treffen, um ihren Mitarbeiter*innen, Lieferanten und Kund*innen Erlebnisse zur Motivation und Bindung zu bieten, um sich über aktuellste Entwicklungen zu informieren und mit Expert*innen auszutauschen, um Botschaften zu platzieren und Kund*innen direkt zu erreichen. Für eine Großzahl an Unternehmen sind Messe- und Tagungstermine feste Meilensteine im Zyklus der Produktentwicklung und in Einkauf und Vertrieb.

 

Ohne Veranstalter würden sich wahrscheinlich Wege und Möglichkeiten finden, um trotzdem Verträge abzuschließen, Produkte zu präsentieren, Bindungen zu vertiefen, usw. Aber mal ehrlich, es wäre schon eine Herausforderung.

 

MICE & Corona

Viele der Veranstalter und Dienstleister der MICE-Branche sind als Unternehmen von Corona direkt bedroht. 695 Messen wurden Stand 12.3.2020 weltweit abgesagt oder verschoben. Veranstaltungen, auf denen Unternehmen sich nun nicht ihren Kunden präsentieren und (Kauf-)Verträge abschließen können. Allein in Deutschland sind lt. m+a 47.000 Unternehmen betroffen.

 

Lasst es uns am Beispiel einer Konferenz einmal näher ansehen. Viele Tagungsveranstalter haben DIE EINE Tagung, die jährlich stattfindet. Oder DIE EINE plus weitere kleine, die mit DER EINEN querfinanziert werden. Je nach Größe der Tagung, Umfang des Programms und der Ausstellung, kreativer Umsetzung, Anzahl von Side-Events und Acts stecken zwischen 500 und mehr als 3.000 Arbeitsstunden drin. Den Einnahmen durch Tickets und Ausstellungsgebühren stehen Ausgaben für Location, Catering, Messebau, Konferenztechnik, Marketing, Print- und Onlinematerial, Personal, Gehälter gegenüber.

 

Wenn Events abgesagt werden

Was passiert nun im Falle einer Absage? Die Einnahmen werden zurückgezahlt, die Ausgaben für Location, Catering etc. bleiben im Rahmen der No-Show-Gebühr bestehen. Hat der Veranstalter Glück, reagieren die Dienstleister kulant und schultern ebenfalls einen Teil der Ausfälle. Manchmal sind es aber kleine Unternehmen und Selbständige, deren Existenz auf dem Spiel steht, sollte der Veranstalter das Risiko weitergeben.

 

Kommen nun noch Unternehmen, Teilnehmerinnen, Aussteller, die selbst Kosten für Reise, Unterkunft, Marketingmaterial haben, und fordern Schadensersatz, kann schon schon ein einziges abgesagtes Event den Veranstalter in die Insolvenz treiben, zusammen mit dem Messebauer, dem Technikanbieter und vielen anderen. Die von der Bundesregierung zugesagte Unterstützung scheint derzeit noch nicht zu greifen. Der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Veranstaltungsorganisatoren VDVO, Bernd Fritzges, hat in einem Selbstversuch die Maßnahmen ausgelotet – mit enttäuschendem Ergebnis bei gleichzeitig überwältigendem Zuspruch durch die Mitarbeiter*innen der jeweiligen Stellen. Im Blog vom 12.03.2020 „Die Veranstaltungswirtschaft wird doch im Stich gelassen“ berichtet er von seinen Erfahrungen.

 

Und wenn die Krise überstanden ist?

Nun ein Gedankenspiel: Einige Zeit später haben wir Corona überstanden, die Wirtschaft fängt an, sich zu erholen und braucht nun Plattformen für den direkten Austausch und um Produkte zu verkaufen. Wie könnte es die Wirtschaft nun erleben, wenn nur noch wenige Veranstalter übrig wären?

 

Veranstalter, die die Krise aufgrund finanzieller Rücklagen einigermaßen gut überstanden haben, setzen Events auf. Sie müssten quasi Monopol-Preise an die wenigen verbliebenen Messebauer zahlen. Ihre Auswahl an Veranstaltungsorten wäre aufgrund von Insolvenzen der Anbieter und der sich im Herbst ballenden Zahl nachgeholter Events drastisch eingeschränkt. Für das Catering würden quasi Monopol-Preise anfallen, weil auch hier die Auswahl der Dienstleister drastisch zurückgegangen ist und diese nun eine geballte Masse von Events beliefern würden. Das Ganze würde in quasi Monopol-Preisen für Tickets und Ausstellungsflächen münden, so dass sich die Mitarbeiter*innen in den Unternehmen, die sich gerade erst von der Krise erholen und jede Menge Arbeit nachzuholen haben, ganz genau überlegen, ob sie angesichts der angespannten finanziellen Lage und Resourcen im eigenen Unternehmen überhaupt teilnehmen.

 

Ehrlich gesagt, gefällt mir dieser Gedanke überhaupt nicht.